Kommt es dieser Tage zu Naturkatastrophen werden Experten wie Naturwissenschaftler, Techniker, Mediziner eingeschaltet, um Gründe für den Auslöser der Tragödie zu finden: Als Folge des Versagens oder der falschen Bedienung hoch komplizierter technischer Apparate und Maschinen, als Folgen von Zufällen oder menschlichen Fehlverhaltens.
Im Mittelalter bis hin zur frühen Neuzeit ging man damit ganz anders um. Im Angesicht von Naturkatastrophen, Kriegen, Hunger und der Pest suchten die Menschen Zuflucht und Antworten in ihrem christlichen Glauben. Der Anspruch an die Experten in Sachen Religion war ein umfassender. Von der Kirche wurde soziale Kompetenz im Zusammenhang mit religiösen Riten verlangt, wie den Hinterbliebenen seelischen Beistand zu leisten, Trost zu spenden sowie Schutz und Sicherheit zu gewähren. Als Konsequenz daraus erfolgte im 14. Jahrhundert eine immense Zunahme liturgischer Praktiken, die zum Teil völlig neu waren, zum anderen Teil aber auch aus bereits existierenden Ritualen entwickelt wurden. Die Kirche sorgte für würdige Beerdigungen der Opfer, veranstaltete trostspendende Andachten vor Altären und Heiligen in den Gotteshäusern und kümmerte sich um Verletzte sowie Hinterbliebene.
Der Kirche und ihren Vertretern wurde rückwirkend betrachtet viel abverlangt: Neben der seelsorgerischen Begleitung war auch die Verarbeitung und Überwindung von Traumata durch eine religiöse Sinngebung gefragt, also eine Antwort auf die Frage „Warum?“. In der heutigen modernen Welt wird diese Frage fast vollständig von Experten übernommen. Früher wurde die Strafe Gottes als eigentliche Ursache für Katastrophen wahrgenommen, als Antwort auf sündhaftes Verhalten der Menschen. Da man annahm, Gott habe die Verfügungsgewalt über das Auftreten von Seuchen und deren Entwicklung zu Epidemien, lehrten Vertreter der Kirche wie Ordensmänner, Priester und höhere Geistliche, über sittliches Dasein, Handeln in den Augen Gottes, eine Lehre die wenn man die genannten Aspekte betrachtet auf das Seelenheil ausgerichtet war, um das Unglück fernzuhalten. Daraufhin wurden die Sühne und das Bußsakrament als wichtigstes Heilmittel und als Arznei suggeriert. Das bedeutet, man setzte die medizinische Arznei an zweite Stelle und priorisierte die religiöse, um des Seelenheils Willens. Die Gläubigen suchten Schutz bei den Pest Heiligen und besonders bei Maria al Sinnbild der Barmherzigkeit. Sie ließen Votivmessen feiern, stifteten Altäre, Gotteshäuser, liturgische Gebrauchsgegenstände und hielten Prozessionen ab, um die göttliche Interzession zu erleben.
Im Folgenden werden Werke vorgestellt, die das Eingreifen der Kirche sowie ihre Reaktion auf Epidemien , wie die Pest zeigen. Es wird der Frage nachgegangen: Wie spendete die Kirche Trost durch ihre soziale Kompetenz im Einvernehmen mit den religiösen Prinzipien, in bedrohlichen epidemischen Zeiten. Die Beispiele beziehen sich auf Europa, insbesondere auf Mitteleuropa, sowie auf die Erklärungs- und Deutungsleistungen des Christentums.
Manuel Alexander von Aufschnaiter
Literatur: Jakubowski-Tiessen, manfred / Lehmann, Hartmut (Hrsg): Um Himmels Willen, Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen, 2003